…Marcel Koller (neuer Teamchef)

Posted On 31 Okt 2011
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Sehr geehrter Herr Koller, wir können uns nicht daran erinnern, dass jemals so viel Aufregung wegen einer Teamchef-Bestellung in Österreich herrschte. Kann man dem auch etwas Positives abgewinnen oder ist es doch eine Bürde, so starten zu müssen?
In gewisser Weise muss man auch Verständnis haben, dass es Aufregung gibt, wenn ein ausländischer Trainer ein Nationalteam übernimmt. Das gehört in gewissen Maßen wohl dazu und vielleicht hat sich vor den ersten Kommentaren nicht jeder so über meine Person informiert, wie das der ÖFB getan hat. Ich versuche auf alle Fälle auch auf die Kritiker zuzugehen und werde keinen Bogen um sie machen. Ich bin nicht nachtragend, sondern möchte durch gute Arbeit überzeugen!

Der (vielleicht sachlichste) Hauptvorwurf, der jenen gemacht wird, die Sie auserwählt haben, zielt eigentlich darauf ab, dass Sie die österreichische Liga und ihre Spieler (noch) nicht kennen. Wie schnell glauben Sie, können Sie sich tatsächlich ein Bild von den Legionären, aber auch von der österreichischen Liga selbst machen und wie geht man in einem solchen Fall legistisch vor, um möglichst rasch möglichst viel Information zu haben?
Für mich war es immens wichtig, so rasch wie möglich meine Tätigkeit aufzunehmen. Mein offizieller Amtsantritt und damit Vertragsbeginn ist zwar erst am 1. November, aber meine Arbeit ging schon viel früher los. Bereits am Tag nach meiner offiziellen Präsentation hatte ich die Gelegenheit, einen Besuch beim SK Rapid Wien vorzunehmen, in weiterer Folge flog ich auch nach Deutschland um Gespräche mit Teamspielern und deren Trainern und/oder Sportdirektoren zu führen. Auch einige Matchbesuche im In- und Ausland standen bereits auf dem Programm und vor wenigen Tagen konnte ich bei Austria Wien ausführlich mit Cheftrainer Karl Daxbacher, sowie fast einem Dutzend österreichischer Spieler, die für das Nationalteam in Frage kommen, sprechen. Zudem konnte ich dort einen sehr interessanten Einblick in die Nachwuchsakademie, die mich sehr beeindruckt hat, gewinnen. Auch in den nächsten Tagen versuche ich so viele Klubs und Spiele wie nur möglich in Österreich, aber auch im Ausland zu besuchen.

Sie haben angekündigt, Österreich müsse (endlich!) wieder einen eigenen Spielstil verkörpern. Denken Sie da abstrakt an bestimmte Systeme und Spielweisen oder werden Sie eher von den ihnen zur Verfügung stehenden Spielern abhängig machen, wie der Stil ausschauen soll?
Es würde nichts bringen, ein System zu üben, für das man nicht die Spieler hat. In den nächsten Tagen und Wochen gilt es, die schon vorhandene ÖFB-Philosophie mit meiner sozusagen upzudaten. Ich lege zum Beispiel großen Wert darauf, dass die Spieler bei Ballverlust auf Position bleiben, sofort attackieren und in Ballbesitz gelangen und sich nicht gleich wieder zurückziehen. In diesem Zusammenhang gäbe es viele Punkte aufzuzählen, in der Offensive bevorzuge ich das vertikale Spiel, zudem ist es zielführender flach als hoch zu spielen, denn mit dem Fuß kombiniert es sich doch leichter als mit dem Kopf und spielen wir weiter Fußball und nicht Kopfball.

Inwieweit haben Sie schon typisch österreichische Probleme ausgemacht, die Sie in der Schweiz und Deutschland so nicht vorfanden?
Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beantworten, wäre unseriös. Ich möchte mir vor solchen Urteilen durch persönliche Gespräche und Besuche ein fundiertes Bild vom gesamten österreichischen Fußball machen und auch daran arbeite ich gerade mit Hochdruck.

Letztendlich kann ein Land auf Dauer wohl nur so gut sein, wie seine Jugendarbeit ist. Werden Sie auch die Zeit finden, diese zu beobachten und zu analysieren oder fällt das nicht in ihren Tätigkeitsbereich bzw. ist so etwas zeitlich überhaupt möglich?
Ich betrachte auch das als Teil meiner Aufgabe und freue mich darauf. In meiner Stellenbeschreibung, die der ÖFB im Zuge der Struktur-Änderungen ja auch publiziert hat, ist explizit angeführt, dass sich der Teamchef beispielsweise in der Talenteförderung einzubringen hat. Auch darauf freue ich mich, denn mein Job ist es, alles zu unternehmen, um einen Beitrag zu leisten, dass der ÖFB einer erfolgreichen Zukunft entgegen schreitet.

Herzlichen Dank!